* 38 *

»Das Ding wird nicht lange halten, Jenna«, sagte Septimus und musterte den schwachen, fein gearbeiteten Riegel, dessen alleiniger Zweck darin bestand, die Tür zum Ruheraum für königliche Damen zu verschönern. »Wir sollten zusehen, dass wir schleunigst hier herauskommen.«
Jenna nickte. »Ich weiß, aber im Palast wimmelt es nur so von Menschen. Du wirst es nicht glauben, Sep, aber alles ist ganz anders. Du kannst nirgends hin, ohne dass dich jemand sieht und einen Knicks macht und ...«
»Wetten, dass vor mir niemand einen Knicks macht, Jenna?«, erwiderte Septimus. Zum ersten Mal seit hundertneunundsechzig Tagen lächelte er, und plötzlich war er wieder der Septimus, den Jenna kannte.
»Nicht solange dein Haar wie ein Rattennest aussieht. Was hast du nur damit gemacht?«
»Ich habe mich nicht gekämmt. Ich sehe nicht ein, wozu. Und diesen doofen Topfschnitt lasse ich mir ganz bestimmt nicht verpassen. Außerdem kann ich Marcellus damit ärgern. Er ist in solchen Dingen nämlich ziemlich pingelig ... Was ist denn, Hugo?« Hugo zupfte ihn am Ärmel.
»Horchet ...«, flüsterte der Junge, der von seiner Beinaheerdrosslung noch blutunterlaufene Augen hatte und totenbleich im Gesicht war. Jemand rüttelte an der Türklinke.
Sir Hereward verriegelte die Tür mit seinem abgebrochenen Schwert und erschien jetzt auch Septimus und Hugo, worüber der ohnehin schon verängstigte Hugo so erschrak, dass er einen Luftsprung machte. »Prinzessin Jenna«, verkündete der Ritter feierlich, »ich werde Euch und Eure treuen Gefolgsleute bis zum Letzten beschützen.«
»Vielen Dank, Sir Hereward«, sagte Jenna. »Aber wir müssen schnell von hier verschwinden. Sep, mach du das Fenster auf, ich lege inzwischen eine falsche Spur.« Sie rannte zu einer kleinen Tür, die in den Langgang führte, öffnete sie und ließ sie offen stehen.
»Mach schon«, sagte sie zu dem benommenen Hugo und stieß ihn in Richtung Fenster. »Hinaus mit dir, Hugo.« Die drei zwängten sich durch das Fenster und sprangen hinab auf den Weg, der hinten um den Palast herumführte. Ganz leise zog Jenna das Fenster zu.
Sir Hereward schwebte durch die Scheibe und stand gleich darauf neben ihnen. »Wohin darf ich Euch das Geleit geben?«, erkundigte sich der Geist.
»Ganz egal«, flüsterte Jenna. »Nur weg von hier, und rasch.«
»Viele benutzen den Fluss zu solchem Behufe«, sagte Sir Hereward und deutete zum Ufer, das in ungewohnter Weise von Zedern gesäumt war.
»Genau«, sagte Jenna, »zum Fluss.«
Hätte sich im Ballsaal jemand die Mühe gemacht, aus dem Fenster zu schauen – was nicht der Fall war, denn die Gäste waren zu erregt und zu sehr damit beschäftigt, die Ereignisse der letzten Minuten zu besprechen –, so hätte er zwei Servierjungen und die Prinzessin über den Rasen zum Fluss rennen sehen. Allerdings war unter den Gästen an diesem Abend kein Geisterseher, der auch den alten Geist hätte sehen können, der, in zerbeulter Rüstung und das abgebrochene Schwert hoch erhoben, den dreien voranstürmte, als führe er sie ins Gefecht. Im Schutz einer großen dunklen Wolke, die sich vor den Vollmond geschoben hatte und den Rasen in Dunkelheit tauchte, rannten die Flüchtigen so schnell sie konnten.
Raureif knirschte unter ihren Schritten, und jeder, der wollte, hätte im weißen Gras die dunklen Abdrücke dreier Fußpaare erkennen können. Doch sie hatten Glück, denn noch dachte niemand daran, das Gras nach Spuren abzusuchen. Zu dem Zeitpunkt, als sie den Fluss erreichten, stand der neue Truchsess, den Königin Etheldredda eilends zum Nachfolger von Blasius Schmalzfass ernannt hatte – ein ebenso jähzorniger wie beschränkter Mann, der jahrelang mit dem Posten des Truchsesses geliebäugelt hatte und nun sein Glück kaum fassen konnte –, stand also der neue Truchsess mit einem Suchtrupp vor der offenen Tür zum Langgang und zog genau die von Jenna erwünschte Schlussfolgerung.
Alle Mitglieder des Suchtrupps stürmten gleichzeitig zu der schmalen Tür, denn alle waren begierig darauf, Prinzessin Esmeralda als erster zu fangen und so die Gunst der Königin zu gewinnen. Doch keiner war so begierig darauf wie der neue Truchsess – und keiner so gemein. Kratzend und tretend bahnte er sich einen Weg zur Spitze des Suchtrupps und quetschte sich als erster durch die Tür. Bald rannten die anderen hinter ihm den Langgang entlang und riefen jedem, der ihnen begegnete, zu, ob er nicht »die arme, irregeleitete Prinzessin« gesehen habe. Ängstlich darauf bedacht, dem furchteinflößenden neuen Truchsess und seinen Gehilfen gefällig zu sein, zeigten viele in eine x-beliebige Richtung und hetzten den Suchtrupp auf diese Weise für nichts und wieder nichts durch den Palast.
Unterdessen standen Jenna, Septimus, Hugo und Sir Hereward auf dem Landungssteg, an dem die königliche Barke lag.
»Das Boot bringet uns sicher von hier fort«, sagte Sir Hereward. »Es ist eine schöne, ruhige Nacht, und das Wasser strömet bedächtig.«
Septimus betrachtete die königliche Barke und pfiff durch die Zähne, eine lästige Angewohnheit, die er unbewusst von Marcellus Pye übernommen hatte. »Meinst du nicht, dass wir damit auffallen könnten?«, fragte er Jenna.
»Doch nicht die Barke«, erwiderte Jenna. »Sir Hereward meint das Beiboot, das kleine Ruderboot.« Sie deutete auf Sir Hereward, der jetzt über einem kleinen und ebenso reich bemalten Ruderboot schwebte, das hinten an der Barke festgebunden war und zum Übersetzen von Passagieren benutzt wurde, wenn die Barke nicht am Ufer anlegen konnte.
Genau in diesem Augenblick schlüpfte der Vollmond hinter der Wolke hervor und tauchte den reifbedeckten Rasen in helles weißes Licht. Es war, als hätte jemand einen Suchscheinwerfer eingeschaltet und direkt auf sie gerichtet. Sir Hereward kannte die Gefahren des Mondlichts nur zu gut, denn sein Eintritt ins Geisterdasein war dem Erscheinen des Vollmonds in einem denkbar ungünstigen Moment und einem wohlgezielten Pfeil geschuldet. Der Geist sprang wieder aus dem Boot und sagte: »Man wird uns entdecken – eilen wir zum Sommerhaus!« Zwischen den Schatten der hohen Zedern hin und her flitzend, führte er die anderen hinüber zum Sommerhaus des Palastes. Es war dasselbe achteckige Gebäude mit dem goldenen Dach, das Jenna aus ihrer Zeit kannte.
Im Schutz des Sommerhauses beobachtete Jenna, wie im Palast ein Fenster nach dem anderen erleuchtet wurde, denn der verwirrte Suchtrupp drang in jedes leere Zimmer ein und ließ zum Zeichen, dass es durchsucht worden war, eine Kerze darin zurück.
Plötzlich flogen lärmend die hohen Fenster des Ballsaals auf, und der neue Truchsess trat auf die Terrasse heraus. Enttäuscht über die erfolglose Jagd durch den Palast hatte er sich von dem zerstrittenen Suchtrupp getrennt, war in den Ruheraum für Damen zurückgekehrt und hatte sich dort etwas genauer umgesehen. Dabei hatte er ein Fenster entdeckt, das nur angelehnt war, und sofort begriffen, dass die Gesuchten einen ganz anderen Fluchtweg benutzt hatten. Jetzt donnerte seine gebieterische Stimme durch die kalte Nacht, als er seinem neuen, aus handverlesenen Raufbolden bestehenden Suchtrupp Anweisungen gab.
»Tuet euch immer zu dreien zusammen. Wahrhaftig, Kerl, bist du von Sinnen? Man möcht es meinen. Drei, sag ich, du Tölpel. Das sind nur Kinder, einer genüget allemal, sie zu überwältigen. Mit den Servierjungen tut, was euch beliebt, die zählen nicht, doch Esmeralda muss zurück zu ihrer trauernden Mama. Nun denn! Ihr drei macht, dass ihr zum Großen Tor kommt, ihr zu den Ställen und ihr, ihr Tölpel, verfüget euch zum Fluss mit euern Plattfüßen. Trödelt nicht – fort mit euch.«
Während Jenna, Septimus und Hugo hinter dem Sommerhaus kauerten, erschall ein Ruf von der Gruppe der Plattfüße. »Sehet da! Spuren im Raureif. Wir haben sie. Sie sind unser!«
Der Suchtrupp stürmte, dicht gefolgt vom Truchsess, über den Rasen zum Fluss. Verzweifelt versuchte Septimus, die Tür des Sommerhauses zu öffnen. Sie war abgeschlossen. »Ich schlage ein Fenster ein, Jenna«, sagte er und wickelte sich das weiße Serviertuch, das die Schüssel mit der Orangensoße bedeckt hatte, um die Hand.
»Nicht, Sep«, zischte Jenna. »Das würden sie hören. Und wenn du ein Fenster einschlägst, wissen sie, dass wir drin sind.«
»Wenn Ihr erlaubet, junger Herr«, sagte Sir Hereward. Er war noch immer stolz darauf, dass er Jennas Zimmertür entriegelt hatte. Er legte die Hand auf das Schloss, und die anderen warteten ängstlich und lauschten. Der Suchtrupp war jetzt an der königlichen Barke.
»Bitte, beeilen Sie sich«, flüsterte Jenna.
»Meine Kräfte sind nicht mehr das, was sie einmal waren«, sagte der Ritter nervös. »Dies Schloss gebet nicht nach.«
»Sir Hereward, lassen Sie mich mal etwas probieren«, sagte Jenna, die es bereute, dass sie der endlos plappernden Jillie Djinn nicht genauer zugehört hatte, und zog den Schlüssel zum Königinnengemach aus ihrem Gürtel. Doch ihre klammen und zitternden Finger waren ungefähr so brauchbar wie tiefgefrorene Würstchen, und der Schlüssel fiel ihr ins reifbedeckte Gras, wo er golden und smaragden im Mondschein glänzte. Septimus schnappte ihn sich, steckte ihn ins Schloss und drehte ihn um, und im nächsten Augenblick stürzten alle nach drinnen. Septimus schloss hinter ihnen ab, und dann standen sie an der Tür und lauschten den dumpfen Schritten, die von den Zedern her nahten und den Boden erzittern ließen.
Plötzlich packte Hugo Septimus fest am Arm.
Zwei grüne Augen funkelten in der Dunkelheit, und ein langes, tiefes Knurren erfüllte das Sommerhaus.
»Ullr?«, flüsterte Jenna, doch im nächsten Moment fiel ihr wieder ein, wo sie war. Das konnte doch unmöglich Ullr sein?
Aus dem Dunkel drang eine Stimme, die sie kannte. »Ruhig, Ullr. Ruhig«, sagte Snorri keuchend. Aber Ullr beruhigte sich nicht. Die große Katze, verstört durch die seltsamen Gerüche und Geräusche in dieser anderen Zeit, war über den spitzen Schrei eines Küchenmädchens von der Nachtschicht erschrocken und durch ein Labyrinth von Gängen geflüchtet. Snorri hatte sie zu ihrer großen Erleichterung gerade erst eingeholt. Jetzt hielt sie den knurrenden Panther fest und kraulte ihm das gesträubte Fell im Nacken.
»Alles in Ordnung, Sep«, flüsterte Jenna. »Das sind nur Snorri und NachtUllr.«
Septimus verstand kein Wort von dem, was Jenna sagte, aber wenn ein knurrender Panther sie nicht störte, wollte er sich ebenso wenig von ihm stören lassen. Im Moment hatten sie andere Sorgen. Zum Beispiel rief jetzt die raue Stimme des neuen Truchsesses aufgeregt: »Die Spur ist deutlich zu erkennen, Männer. Die Beute wartet unser im Sommerhaus der Königin.«
Ein heftiges Rütteln an der Türklinke, dann der Ruf: »Die Tür ist verriegelet, Herr Truchsess.«
»So schlag sie ein, du Muttersöhnchen und Unglücksrabe – schlag sie ein!«
Etwas krachte gegen die dünne Holztür und ließ das Sommerhaus erzittern. Sir Hereward schwang drohend sein Schwert und sagte: »Seid unbesorgt, an mir kömmt keiner vorbei.« Jenna blickte ängstlich zu Septimus – die Schergen des Truchsesses würden den Ritter nicht einmal bemerken. Sie würden einfach durch ihn hindurchmarschieren, als sei er überhaupt nicht vorhanden.
»Wir können von hier in die Küche fliehen«, sagte Snorri rasch, »aber sie werden uns verfolgen. Ich habe eine Idee. Jenna, gib mir bitte deinen Umhang.« Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte Jenna es abgelehnt, ihren schönen Umhang herzugeben, doch als es erneut einen lauten Schlag gegen die Tür tat und das dünne Holz splitterte, riss sie sich den Umhang herunter und gab ihn Snorri. Sie konnte es kaum mitansehen, wie Snorri den Umhang entzweiriss, dann auf den schmutzigen Boden warf, darauf herumtrampelte und ihn schließlich Ullr gab mit den Worten: »Hier, Ullr.« Der Panther schnappte nach dem zerfetzten Umhang und klemmte ihn sich zwischen die großen weißen Reißzähne.
»Bleib hier, Ullr. Pass auf.« Ullr gehorchte. Der große Panther stellte sich vor die Tür, und seine grünen Augen sprühten Feuer, als nach einem weiteren Stoß kleine trockene Holzsplitter auf seinen breiten, muskulösen Rücken regneten.
»Kommt«, flüsterte Snorri und winkte Jenna, Septimus, Hugo und Sir Hereward. »Mir nach.«
Snorri verschwand im Dunkeln, doch der Widerschein des Mondlichts in ihrem weißblonden Haar machte es leicht, ihr zu folgen, und bald zwängten sie sich eine steile Wendeltreppe aus Stein hinunter. Im Laufen hörten sie, wie die Tür des Sommerhauses unter der Wucht der Schläge schließlich nachgab. Dann ertönte das drohende Knurren und Grollen Ullrs, gefolgt von einem gellenden Angstschrei des Muttersöhnchens und Unglücksraben, der das Pech hatte, als erster durch die Tür zu stürmen.
»Mach, dass du wieder hineinkömmst«, donnerte gleich darauf die Stimme des Truchsesses.
»Nein, nein, ich bitt euch, Sir. So wahr ich leb, ich trau mich nicht.«
»So hol dich der Teufel, du Narr, denn du wirst kein Leben mehr haben, um das du fürchten kannst, wenn du nicht augenblicklich hineingehest und die Prinzessin herausholest.«
»Nein ... Nein Sir, ich fleh Euch an!«
»Auf die Seit, du Narr. Ich will dir zeigen, was ein Mann ist ...«
Darauf ließ ein Brüllen, wie es selbst Snorri noch nie von Ullr gehört hatte, den engen Treppenschacht erdröhnen und jagte ihnen Schauer über den Rücken. Ein Schrei des Entsetzens zerriss die Luft, und dumpfes Getrappel war oben zu vernehmen, als der Suchtrupp des Truchsesses davonlief und es dem Truchsess überließ, NachtUllr zu zeigen, was ein Mann war.
Der Suchtrupp kehrte ganz aufgelöst in den Ballsaal zurück, und die wenigen Bummler, die dageblieben waren, um ihr Entlein – und das ihrer Tischnachbarn – zu essen, hörten die schreckliche Geschichte, wie Prinzessin Esmeralda bei lebendigem Leib vom Schwarzen Teufel gefressen worden war. Niemand wusste, was aus dem neuen Truchsess geworden war, doch befürchteten (und hofften – denn das machte die Geschichte noch viel besser) alle das Schlimmste.
Während NachtUllr das Sommerhaus bewachte und möglicherweise den Truchsess fraß (woran keiner denken mochte), kamen Septimus, Jenna, Hugo und Snorri am Fuß der Treppe an und stießen prompt mit jemandem zusammen.
»Nicko!«, rief Septimus erstaunt.
Beim Klang seiner Stimme ließ Nicko fast seine Kerze fallen. Seine Miene verfinsterte sich vor Verwirrung, als er die Veränderungen bemerkte, die einhundertneunundsechzig Tage in einer fremden Zeit bei Septimus hinterlassen hatten. Doch sie hellte sich gleich wieder auf, denn er sah trotz des verfilzten Haars und der abgemagerten, etwas größeren Gestalt, dass es der alte Septimus war – und außerdem stand Jenna hinter ihm.
»Beeilt euch«, sagte Snorri, »vielleicht schicken sie bald Verstärkung, um Ullr zu besiegen. Er wird sie nicht ewig aufhalten können. Wir müssen weiter.« Snorri nahm Nicko die Kerze ab und ging zielstrebig voraus. Die anderen folgten ihr und dem Flackerlicht der Kerze durch den Hauptkorridor der unteren Küchen, der menschenleer war bis auf drei müde Serviermädchen, die in der Ferne verschwanden. Die Gerüche des Banketts hingen noch in der Luft, wie Jenna und Septimus angewidert feststellten. Vorsichtig nach neugierigen Bediensteten Ausschau haltend, schlichen sie weiter. Sie hatten Glück, denn dies waren die wenigen ruhigen Stunden in der Nacht, in denen nur der Palastbäcker in den Küchen arbeitete, und der war weit weg im Stock darüber, wo er ihnen nicht gefährlich werden konnte.
Jenna wusste, wohin sie gingen. Nicht weit vor ihnen war bereits die Nische zu sehen, in welcher der Kleiderschrank des Unterkochs verborgen war. Sie drückte Septimus die Hand und sagte: »Bald sind wir zu Hause, Sep – ist das nicht schön?«
»Wie denn?«, fragte Septimus verdutzt.
Hinter ihm hielt Nicko die Kerze hoch, und ihre Schatten wurden auf den alten Schrank geworfen. »Damit«, sagte er. »Erkennst du ihn nicht wieder?«
»Wen erkennen?«
»Den Schrank, durch den du gekommen bist, Dummkopf.«
Septimus schüttelte den Kopf. »Aber ich bin nicht durch den Schrank gekommen. Ich bin durch die Alchimisten-Kammer gekommen.«
Nicko begriff nicht, was Septimus zu mäkeln hatte. »Was spielt das denn für eine Rolle, Sep? Lass uns einfach diesen Weg nehmen, einverstanden? Hauptsache, wir kommen nach Hause.«
Septimus sagte nichts. Er verstand nicht, wie er durch einen alten Schrank wieder nach Hause kommen sollte. Bei dem Wort Zuhause begann der kleine Hugo zu schniefen. Septimus beugte sich zu ihm hinunter. »Was hast du denn, Hugo?«, fragte er.
Hugo rieb sich die müden, brennenden Augen. »Ich ... ich möchte nach Hause«, grummelte er. »Zu Sally.«
»Sally?«
»Mein Hund. Sally.«
»In Ordnung, Hugo. Keine Sorge, ich bringe dich nach Hause.«
»Sep!«, rief Jenna entsetzt. »Das geht nicht. Du musst mit uns kommen. Sofort. Wir müssen los, bevor uns jemand erwischt.«
»Aber Jenna ... wir können Hugo doch nicht einfach alleine lassen.«
Sir Hereward hüstelte höflich. »Prinzessin Jenna. Wenn Ihr erlaubt, werde ich den Knaben nach Hause begleiten.«
»Oh, Sir Hereward«, sagte Jenna, »das würden Sie tun?«
Der Ritter verbeugte sich. »Es wird mir eine Ehre sein, Prinzessin Jenna.« Der Ritter reichte Hugo seine behandschuhte rostige Hand, und der griff in die Luft und hielt sich fest. »So werd ich mich nun verabschieden, holde Prinzessin«, sagte Sir Hereward und verbeugte sich tief. »Lebt wohl, denn wir werden uns nie Wiedersehen.« »Oh doch, Sir Hereward, das werden wir. Wir sehen uns heute Abend, dann werde ich Ihnen alles erzählen.« Jenna grinste.
»Das will ich nicht hoffen, Prinzessin, denn mich dünkt, dass Ihr heute Abend hier nicht sicher wärt. Ich wünsch Euch und Euren wackeren Gefährten den Beistand des Himmels und eine sichere Heimkehr. Komm, Hugo.« Damit ging der Geist durch die Tür, und Hugo trottete neben ihm her.
»Wiedersehen, Hugo«, sagte Septimus.
»Auf Wiedersehen, Lehrling.« Hugo drehte sich um und lächelte. »Vielleicht bis morgen.«
Vielleicht, dachte Septimus bedrückt.
»Komm jetzt, Sep«, sagte Jenna ungeduldig und zog ihn zum Schrank.
Snorri fischte eine silberne Pfeife aus der Tasche und hielt sie an die Lippen. Sie blies, aber es kam kein Ton heraus. »Die ist für Ullr«, sagte sie. »Er wird gleich hier sein.«
Jenna öffnete die Schranktür. »Da hinten«, erklärte sie Septimus, »ist nämlich ein Spiegel, hinter den Mänteln.« Sie schob die Lagen grober grauer Wolle zur Seite, und dahinter kam der verstaubte goldene Rahmen zum Vorschein. »Da ist er!«
»Wo?«, fragte Septimus, während sich Ullr auf leisen Pfoten den vier Gestalten näherte, die den Schrank umlagerten.
»Na da«, erwiderte Jenna ärgerlich. Wieso war Septimus so schwer von Begriff?
»Da ist nur ein leerer Rahmen, Jenna«, sagte Septimus. »Nur ein dummer alter leerer Rahmen.« Er trat wütend dagegen. »Mehr nicht.«
»Nein! Das kann nicht sein!« Jenna legte die Hand an den Spiegel und erkannte, dass Septimus recht hatte. Der Rahmen war leer, und von dem Glas, das darin geklemmt hatte, war keine Spur mehr zu sehen.
»Jetzt sind wir alle an diesem schrecklichen Ort gefangen«, sagte Septimus grimmig.